Was macht das mit einem Menschen, wenn dieser keine eigene Wohnung hat und sich nirgendwo sicher fühlt? Wenn er psychisch traumatisiert ist? Flüchtlinge haben schockierende Dinge erlebt, die sie nicht mehr loswerden. Das Leben in einer unsicheren Umgebung – sei es aufgrund von Krieg, Naturkatastrophen oder Missbrauch – bedeutet enormen Stress. Kurzfristiger Stress ist gesund: Er hilft in Momenten der Gefahr, sich in Sicherheit zu bringen oder sich zu verteidigen. Aber ein chronischer Stresszustand ist schlecht und belastet Körper und Geist. In so einem Zustand haben Betroffene sozusagen ständig Angst vor Bedrohungen: Sie sind ständig bereit, zu fliehen, zu kämpfen oder sich ganz still zu verhalten – auch wenn die eigentliche Gefahr längst vorüber ist. Körperlich können Sie unter Herzklopfen, hohem Blutdruck und verminderter Widerstandskraft leiden. Ein Überschuss des Stresshormons Cortisol kann sogar zu Hirnschäden führen.
Nirgendwo in Sicherheit – was macht das mit einem Menschen?
Stell dir vor du musst aus deiner Heimat fliehen, doch niemand gibt dir in dieser Welt einen Platz. Du bist nirgendwo willkommen und lebst in unsicheren Verhältnissen. Das hat enorme Konsequenzen für dich und deine Kinder. Welche? Genau das beschreibt Petra Butler – Psychologin, Journalistin und Mutter – in dieser Kolumne.
UNSICHERE ZUKUNFT
Amina ist ständig auf der Hut vor potenziellen Gefahren
Amina (16) fühlt sich nirgendwo sicher. Vor Jahren floh sie mit ihren Eltern wegen des Krieges in ihrer Heimatstadt in ein Flüchtlingslager. Auch während und nach der Flucht war sie Misshandlungen und anderen Ungerechtigkeiten ausgesetzt. Und auch nach der Flucht ist das Leid noch nicht vorbei. Amina ist immer angespannt und ständig auf der Hut. Sie hat wenig Selbstvertrauen und ist sich über ihre Zukunft unsicher.
Gesundheitsschädlich
Bei Kindern ist ständiger Stress schädlich für die Entwicklung. Wenn sie sich nicht sicher fühlen, können sie, wie Amina, vor den kleinsten Dingen Angst bekommen, misstrauisch werden und Rückzugsverhalten zeigen. Manchmal denken sie sogar, dass sie nicht lebenswert sind, oder sie fühlen sich schuldig, weil sie in Sicherheit sind und andere nicht. Auch bei ungeborenen Kindern, deren Mütter viel Stress erleben, wurde eine abnormale Entwicklung festgestellt: Ihre Gehirne sind von Anfang an besonders wachsam gegenüber potenziellen Gefahren.
Kinder wie Amina, die mit einem Gefühl der Unsicherheit und einem psychologischen Trauma aufwachsen, haben als Erwachsene eher Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren und anderen zu vertrauen, und sie haben ein geringeres Selbstwertgefühl als andere. Sie leiden auch häufiger an psychiatrischen Problemen wie Angststörungen, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen.
Die nächste Generation
Aber das ist noch nicht alles. Tatsächlich wirken sich tiefgreifende Ereignisse oft auf die nachfolgenden Generationen aus. Eltern, die traumatisiert sind, können dies ungewollt auf ihre Kinder übertragen. Kinder spüren, dass mit ihrem Vater oder ihrer Mutter etwas nicht stimmt, auch wenn kein Wort darüber verloren wird. Daher ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie selbst psychische Probleme haben. Es ist also unglaublich wichtig, etwas gegen dieses Gefühl der Unsicherheit zu unternehmen. Damit Kinder wie Amina ihren Seelenfrieden finden und für eine Weile wieder Kinder sein können.
Möchten Sie unsere Arbeit unterstützen?
Ein Krieg oder eine Katastrophe hinterlässt tiefe Spuren. Viele Flüchtlinge haben psychische Probleme, weil sie schreckliche Dinge gesehen oder erlebt haben. Gemeinsam wollen wir ihnen helfen, nicht nur ihre Häuser, sondern auch ihr Leben nach der Katastrophe wieder aufzubauen. Helfen Sie uns?